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Leonhard Eulers Beweis, daß weder die Summe noch die Differenz zweier Kubikzahlen wieder eine Kubikzahl sein kann

Das heißt: Beweis der Fermatschen Vermutung für n=3

    wiles
Andrew Wiles, kurz nach der ersten öffentlichen Präsentation seines Beweises

 

Im Jahre 1994 hat Andrew Wiles nach jahrelangen Studien nach tiefschürfenden Vorarbeiten anderer Mathematiker die von Pierre Fermat (1601-1665) aufgestellte Vermutung bewiesen, daß es keine positiven ganzen Zahlen x, y und z gibt, die die Gleichung xn + yn = zn erfüllen, wenn n eine natürliche Zahl >2 ist. Für den Fall n=2 gibt es neben dem bekannten Beispiel 3² + 4² = 5² noch unendlich viele weitere Möglichkeiten, wie man z.B. →hier nachlesen kann. Wiles' Beweis umfaßt 150 Seiten und ist trotz der scheinbaren Einfachheit des Satzes so schwierig, daß er nur von einigen Mathematikern auf der ganzen Welt in allen Einzelheiten verstanden werden kann.

fermat     
Pierre de Fermat

 

Pierre Fermat hatte die Behauptung an den Rand seiner Diophant-Ausgabe geschrieben und mit der Bemerkung versehen, er habe einen wunderbaren Beweis gefunden, nur leider reiche der Platz hier nicht aus, ihn aufzuschreiben. Ob er ihn tatsächlich hatte, wird heute als eher unwahrscheinlich angesehen, obgleich er (der eigentlich mathematischer „Dilettant“ war) den meisten zeitgenössischen „Profis“ mindestens ebenbürtig, wenn nicht haushoch überlegen war. Andrew Wiles meint: „I don't believe Fermat had a proof. I think he fooled himself into thinking he had a proof.“

  S. 368 aus Eulers Algebra
Seite 368 aus Leonhards Eulers
Vollständiger Anleitung zur Algebra

   

Immerhin versuchten sich seitdem jahrhundertelang die allermeisten großen mathematischen Geister an dem allgemeinen Beweis dieser geradezu simpel wirkenden Aussage - jedoch bis Wiles ohne Erfolg oder nur mit Teilerfolgen. Allerdings wurde der Satz für verschiedene konkrete Exponenten schon viel früher bewiesen. Nachfolgend ist Leonhard Eulers Beweis für den Fall n=3 abgedruckt, der in seinem berühmten Lehrbuch Vollständige Anleitung zur Algebra gegen Ende zu finden ist. Euler, zur Zeit der Abfassung des Buches bereits erblindet, diktierte es Ende der 1760er Jahre in Petersburg einem Bediensteten, der hernach berichtete, er habe dadurch die Algebra gelernt.

Tatsächlich besticht Eulers Text auch in der originalen Form der ersten deutschen Fassung, in der er hier weitestgehend wiedergegeben ist (das Original erschien 1769 in Russisch), bis heute durch klare Sprache, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, auch mit den algebraischen Mitteln der Schulmathematik. Gleichzeitig erscheint er als wunderbare Einführung in die Ideen und Beweismethoden der elementaren Zahlentheorie.

Audrücke mit dem Exponenten 3, wie x³, werden als Cubus bezeichnet — noch heute sagt man ja beispielsweise zur Volumenangabe 4m³ „vier Kubikmeter“. Das Wort wird natürlich korrekt nach der lateinischen o-Deklination dekliniert.

Quadrate von Variablen, wie x², werden meist nicht mit Exponent, sondern als Produkt xx geschrieben. Diese intuitive, aber heute natürlich ungebräuchliche Schreibweise ist hier beibehalten, ebenfalls die originale Orthographie und Interpunktion.


Aus: Leonhard Euler, Vollständige Anleitung zur Algebra, 2. (oder 3.?) Auflage: Lund 1771; Zweyter Theil, zweyter Abschnitt, Capitel 15, S. 368ff.


        
Leonhard Euler

 

 

Lehrsatz:
Es ist nicht möglich zwey Cubos zu finden, deren Summe oder auch Differenz ein Cubus wäre.

 
Hier ist vor allen Dingen zu bemerken, daß wenn die Summe unmöglich ist, die Differenz auch unmöglich seyn müsse. Denn wenn es unmöglich ist daß x³ + y³ = z³, so ist es auch unmöglich daß z³ - y³ = x³, nun aber ist z³ - y³ die Differenz von zwey Cubis: Es ist also genug die Unmöglichkeit bloß von der Summe, oder auch nur von der Differenz zu zeigen, weil das andere daraus folgt. Der Beweis selbst aber wird aus folgenden Sätzen bestehen:

  1. Kann man annehmen, daß die Zahlen x und y untheilbar unter sich sind. Denn wenn sie einen gemeinsamen Theiler hätten, so würden sich die Cubi durch den Cubum desselben theilen lassen. Wäre z.E. x = 2a, und y = 2b so würde x³ + y³ = 8a³ + 8b³, und wäre dieses ein Cubus, so müßte auch a³ + b³ ein Cubus seyn.
  2. Da nun x [im Original versehentlich: u, siehe Abbildung oben] und y keinen gemeinsamen Theiler haben, so sind diese beyde Zahlen entweder beyde ungerade, oder die eine gerade, und die andere ungerade. Im erstern Fall müßte z gerade seyn; im andern Fall aber müßte z ungerade seyn. Also sind von den drey Zahlen x, y und z immer zwey ungerade und eine gerade. Wir wollen daher zu unserm Beweis die beyden ungeraden nehmen, weil es gleich viel ist, ob wir die Unmöglichkeit der Summe oder der Differenz zeigen, indem die Summe in die Differenz verwandelt wird, wenn die eine Wurzel negativ wird.
  3. Es seyn demnach x und y zwey ungerade Zahlen, so wird sowohl ihre Summe als Differenz gerade seyn. Man setze daher (x + y)/2 = p und (x - y)/2 = q, so wird x = p + q und y = p - q, woraus erhellet, daß von den zwey Zahlen p und q die eine gerade, die andere aber ungerade seyn muß; daher aber wird x³ + y³ = 2p³ + 6pqq = 2p(pp + 3qq): es muß also bewiesen werden, daß dieses Product 2p(pp + 3qq) kein Cubus seyn könne. Sollte aber die Sache von der Differenz her bewiesen werden, so würde x³ - y³ = 6ppq + 2q³ = 2q(qq + 3pp), welche Formel der vorigen ganz ähnlich ist, indem nur die Buchstaben p und q verwechselt sind, daher es genug ist, die Unmöglichkeit von dieser Formel 2p(pp + 3qq) zu zeigen, weil daraus nothwendig folget, daß weder die Summe noch die Differenz von zweyen Cubis ein Cubus werden könne.
  4. Wäre nun 2p(pp + 3qq) ein Cubus, so wäre derselbe gerade und also durch 8 theilbar: folglich müßte auch der achte Theil unserer Formel eine ganze Zahl und dazu ein Cubus seyn, nämlich ¼p(pp + 3qq). Weil nun von den Zahlen p und q die eine gerade, die andere aber ungerade ist, so wird pp + 3qq eine ungerade Zahl seyn und sich nicht durch 4 theilen lassen, woraus folget, daß sich p durch 4 theilen lassen müsse und also p/4 eine ganze Zahl sey.
  5. Wenn nun dieses Product p/4·(pp + 3qq) ein Cubus seyn sollte, so müßte ein jeder Factor besonders, nämlich p/4 und pp + 3qq, ein Cubus seyn, wenn nämlich dieselben aber einen gemeinsamen Theiler haben, so muß derselbe besonders betrachtet werden. Hier ist demnach die Frage: ob diese zwey Factoren p und pp + 3qq nicht einen gemeinsamen Theiler haben könnten? welches also untersucht wird. Hätten dieselben einen gemeinsamen Theiler, so würden auch diese pp und pp + 3qq eben denselben gemeinsamen Theiler haben, und also auch diese ihre Differenz, welche ist 3qq, mit dem pp eben denselben gemeinsamen Theiler haben, da nun p und q unter sich untheilbar sind, so können die Zahlen pp und 3qq keinen andern gemeinsamen Theiler haben als 3, welches geschieht wenn sich p durch 3 theilen läßt.
  6. Wir haben daher zwey Fälle zu erwegen: der erste ist wenn die Factoren p und pp + 3qq keinen gemeinsamen Theiler haben, welches immer geschieht, wenn sich p nicht durch 3 theilen läßt; der andere Fall ist, wenn dieselben einen gemeinsamen Theiler haben, welches geschieht, wenn sich p durch 3 theilen läßt, da denn beyde durch 3 theilbar seyn werden. Diese zwey Fälle müssen sorgfältig von einander unterschieden werden, weil man den Beweis für einen jeden ins besondere führen muß.
  7. Erster Fall: Es sey demnach p nicht durch 3 theilbar und also unsere beyden Factoren p/4 und pp + 3qq untheilbar unter sich, so müßte ein jeder für sich ein Cubus seyn. Laßt uns daher pp + 3qq zu einem Cubo machen, welches geschieht wenn man, wie oben gezeigt worden , setzt p + q-3 = (t + u -3)³ und p - q -3 = (t - u-3)³ [→siehe Anmerkungen]. Damit dadurch [sic] werden pp + 3qq = (tt + 3uu)³ und also ein Cubus; hieraus aber wird, p = t³ - 9tuu = t(tt - 9uu), und q = 3ttu - 3u³ = 3u(tt-uu): weil nun q eine ungerade Zahl ist, so muß u auch ungerade, t aber gerade seyn, weil sonst tt - uu eine gerade Zahl würde.
  8. Da nun pp + 3qq zu einem Cubo gemacht und gefunden worden p = t(tt - 9uu) = t(t + 3u)(t - 3u), so müßte jetzt noch p/4 und also auch 2p, ein Cubus seyn; daher diese Formel 2t(t + 3u)(t - 3u) ein Cubus seyn müßte. Hier ist aber zu bemerken, daß t erstlich eine gerade Zahl und nicht durch 3 theilbar ist, weil sonst auch p durch 3 theilbar seyn würde, welcher Fall hier ausdrücklich ausgenommen ist: also sind diese drey Factoren 2t, t + 3u und t - 3u unter sich untheilbar, und deswegen müßte ein jeder für sich ein Cubus seyn. Man setze daher t + 3u = f³ und t - 3u = g³ so wird 2t = f³ + g³. Nun aber ist 2t auch ein Cubus, und folglich hätten wir hier zwey Cubos f³ und g³ deren Summe wieder ein Cubos wäre, welche offenbar ungleich viel kleiner wären, als die anfänglich angenommenen Cubi x³ und y³. Denn nachdem wir gesetzt haben x = p + q und y = p - q, anjetzo aber p und q durch die Buchstaben t und u bestimmt haben, so müssen die Zahlen p und q viel größer seyn als t und u.
  9. Wenn es also zwey solche Cubi in den größten Zahlen gäbe, so könnte man auch in viel kleinern Zahlen eben dergleichen anzeigen deren Summe auch ein Cubus wäre, und solcher Gestalt könnte man auf immer kleinere dergleichen Cubos kommen. Da es nun in kleinen Zahlen dergleichen Cubos gewiß nicht giebt, so sind sie auch in den allergrößten nicht möglich. Dieser Schluß wird dadurch bestätiget, daß auch der andere Fall eben dahin leitet, wie wir sogleich sehen werden.
  10. Zweyter Fall. Es sey nun p durch 3 theilbar, q aber nicht, und man setze p = 3r so wird unsere Formel 3r/4·(9rr + 3qq), oder 9/4r(3rr + qq), welche beyde Factoren unter sich untheilbar sind, weil sich 3rr + qq weder durch 2 noch durch 3 theilen läßt, und r eben sowohl gerade seyn muß als p, deswegen muß ein jeder von diesen beyden Factoren für sich ein Cubus seyn.
  11. Machen wir nun den zweyten 3rr + qq oder qq + 3rr zu einem Cubo, so finden wir wie oben q = r(tt - 9uu) und r = 3u(tt - uu): wo zu merken, daß weil q ungerade war, hier auch t ungerade, u aber eine gerade Zahl seyn müsse.
  12. Weil nun 9r/4 auch ein Cubus seyn muß und also auch mit dem Cubo 8/27 multiplicirt, so muß 2r/3 das ist 2u(tt - uu) = 2u(t + u)(t - u) ein Cubus seyn, welche drey Factoren unter sich untheilbar und also ein jeder für sich ein Cubus seyn müßte: wenn man aber setzt t + u = f³ und t - u = g³, so folgt daraus 2u = f³ - g³, welches auch ein Cubus ist. Solcher Gestalt hätte man zwey weit kleinere Cubos f³ und g³ deren Differenz ein Cubus wäre, und folglich auch solche deren Summe ein Cubos wäre. Hierdurch wird nun der obige Schluß vollkommen bestätiget, daß es auch in den größten Zahlen keine solchen Cubi gebe, deren Summe oder Differenz ein Cubus wäre, und das deswegen, weil in den kleinsten Zahlen dergleichen nicht anzutreffen sind.

Anmerkungen

Euler rechnet am Schluß des Buches ganz selbstverständlich mit imaginären Zahlen, die weit vorher eingeführt werden — hier mit (-3). Die im Abschnitt VII erwähnte Herleitung, wie p² + 3q² zu einer Kubikzahl gemacht werden kann, findet sich einige Kapitel vorher. Hier genügt einfaches Nachrechnen mit den Sustitutionen p = t³ - 9tu² und q = 3t2u - 3u3: p2 + 3q2 = (t3 - 9tu2)2 + 3(3t2u - 3u3)2 = t6 + 9t4u2 + 27t2u4 + 27u6 = (t2 + 3u2)3.


© Arndt Brünner, 19. 8. 2003
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