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Dürers Muschellini und zwei andere Kurven

Dürers Spinnenlini

In seiner Unterweysung der Messung (Nürnberg 1525) beschreibt Dürer u.a. die Konstruktion einer Kurve, die der sogenannten Pascalschen Schnecke (siehe →hier) entspricht. Benannt wurde die Pascalschne Schnecke Étienne Pascal (1588-1651, Vater von Blaise Pascal), der diese Kurve 1637, also erst gut hundert Jahre nach Dürer entdeckte. Eine Begründung der Identität von Spinnenlini und (allgemeiner) Pascalscher Schnecke findet sich ↓unten.

A



ber ein andre lini / die sey genant ein spinnen lini / darum daß sie im aufreissen / dardurch mans macht scheir einer spinnen enlich ist / die mach ich durch ein zwifache bewegung also / Ich reis eyn aufrechte lini a.b. daran setz ich ein andre lini der end sey .c. und die lini a.b. laß ich im end a stet bleiben / Aber das end.b. für ich in zirckels weis herumb / wie ich dann der end im umblauf uberall mit b. verzeichent hab / Darnach soll im end .b. die ander daran gestossen lini .c. mit irem hyndern ende im punckten .b. auch stett bleiben / aber das förder end .c. soll in zirckels weiß herum gefürt werden / So dann die erst lini umgefürt / und die ander anstosset auch sonderlich herum gefürt wirdet / so zeichent das end c. ein sonderliche lini / damit aber dise lini gewyß gefürt werd / so setz ich ein zirckel mit dem ein fuß in dem punckten .a. und reiß mit dem andern fuß eyn zirckellini under dem /b/ die gradir ich auch in theyl mit ziffern / dardurch die lini .a.b. von punckt zu punckt gewyß gee / Des gleichen thue ich im auch im punckten .b. unnd so offt ich mit der lini .a.b. eyn grad gee / so oft gee ich auch ein grad im zirckel .b. mit der lini .c.so zeichnet das end .c. die punckten zwischen den ir lini zusamen soll getzogen werden / die ich uberall mit .c. verzeichent hab / wie das nachfolgett aufgeryssen ist.

Freie und verknappte Transliteration:
Aber eine andere Kurve, die Spinnen-Linie genannt sei, da sie im Zeichenvorgang einer Spinne ähnelt, mache ich durch eine zweifache Bewegung folgendermaßen:
Ich zeichne eine vertikale Strecke AB. An das Ende B zeichne ich eine weitere Strecke, deren Ende ich C nenne. Nun sei A fest, B aber führe ich im Kreis um A herum. Ich nenne alle diese Punkte B. C wird ebenso im Kreis um B geführt, aber so, daß die Strecke BC ihre Richtung um den selben Winkel gegen AB ändert wie AB gegen die Vertikale gedreht ist. Die Punkte C zeichnen dann eine besondere Linie (Kurve), wie man das in Dürers Zeichnung und der interaktiven Graphik unterhalb dieses Textes sehen kann.

AB = px

BC = px

koppeln (AB=BC)

als Enveloppe von Kreisen
        Kreis zeichnen
Konchoidenkonstruktion zeigen
       Linie durch Knie Fuß

Spinnenbein
  φ = 0°
 
  Winkel zeigen
  Animation

Spinne einzeichnen

© Arndt Brünner, 5. 10. 2024

Zur Identität mit der Pascalschen Schnecke

Die Pascalsche Schnecke hat die Polargleichung ρ(φ) = a cos(φ) + b.
(Das ist der Abstand vom Ursprung (Pol) des Kurvenpunktes in Abhängigkeit von der Richtung des Abstands­vektors gegen die x-Achse.)

In der nebenstehenden Abbildung sind eine Parallele zu AB durch C ergänzt und die Lote von A und B auf diese Pararallele. Wegen der Identität der Winkel ist das unten entstehende Dreieck kongruent zum oberen.
So ist ersichtlich, daß hier der Abstand |OC| mit den Bezeichnungen Dürers 2|BC|·cos(φ) + |AB| beträgt, was mit 2|AB|=b und |BC|=a genau in den Abstand aus der Polargleichung übergeht.

Daß O genau in den Zwickel fällt, wenn |OA|=|BC| ist bzw. gewählt wird, wird deutlich aus der Abbildung unten. Das Dreieck CAB ist gleichschenklig mit der Basis AB und dem Basiswinkel α=180°–φ. Wenn φ so groß ist, daß C genau auf der Symmetrieachse liegt, dann kann dorthin O gelegt werden, um die Pascalsche Schnecke mit a=|bc| und b=2|AC| zur Übereinstimmung zu bringen.
Umgekehrt funktioniert Dürers Konstruktion um 90° im Uhrzeigersinn gedreht in der Koordi­naten­system­darstellung zur Erzeugung der Pascalschen Schnecke, wenn A(b/2|0), |AB|=b und |BC|=b/2 gewählt wird. Siehe →hier.

© Arndt Brünner, 5. 10. 2024